Welchen Beitrag leisten Kunst und Kultur zum sozialen Zusammenhalt in Zeiten starker gesellschaftlicher Veränderungen? Darüber haben interessierte Ingolstädterinnen und Ingolstädter am 25. Juni an der KU im Georgianum Ingolstadt gemeinsam mit Sigrid Diewald, Inhaberin der schnellervorlauf GmbH, u.a. Gründungsvorsitzende des Ingolstädter Vereins Neue Sicht e.V., Gabriel Engert, Kulturreferent der Stadt Ingolstadt, Hubert Klotzeck, u.a. Vorsitzender des Kunstvereins Ingolstadt, sowie Prof. Dr. Martin Kirschner, Inhaber des Lehrstuhls für Theologie in Transformation an der KU Eichstätt-Ingolstadt, diskutiert. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Folgen der Corona-Pandemie für Kunst- und Kulturschaffende, der Einfluss virtueller Welten und künstlicher Intelligenz sowie weitere Veränderungen in Kunst und Kultur.
Rolle von Kunst und Kultur in digitalen Zeiten
„Kunst wischt den Staub des Alltags von der Seele“, stellte Hubert Klotzeck sein Kunstverständnis dar. Künstlerinnen und Künstler würden schwierige Themen aufgreifen und damit zum Nachdenken anregen. Allerdings stecke Kunst seit Corona in einer Krise: Es kämen bei Weitem nicht mehr so viele Besucher ins Theater oder in Ausstellungen wie vor der Pandemie. Sigrid Diewald nannte Kunst und Kultur den „Kit der Gesellschaft“ und erklärte in Bezug auf deren Situation seit Corona:: „Wir verlieren die Kontaktpunkte. Kunst und Kultur werden nicht mehr an den Mann und die Frau gebracht. Streaming Dienste sind nach oben geschossen.“ Bedingt durch Corona und Kriege sowie eine Krise der Demokratie, sehe er die Gesellschaft als Gesamtes inmitten einer Krise, beschrieb Martin Kirschner. Ein Zuschauer aus dem Publikum ergänzte, dass Tik Tok und Instagram seiner Ansicht nach heute auch zu unserer Kultur gehören. Garbiel Engert entgegnete, Kunst könne man nur schwer ins Digitale bringen. Theater lebe vom Schauspieler, der auf der Bühne agiert. Das komme auf keinem Bildschirm rüber. Klotzeck hielt dem entgegen, die Diskussion zeige, dass eine Transformation der Kunst selbst erforderlich sei. Kunst in allen Facetten müsse sich öffnen und dürfe nicht länger als Lebensraum der gebildeten und wohlhabenden Eliten verstanden werden. Es kämen aktuell kaum junge Menschen in Kunstgalerien. Demgegenüber steht die Idee des Creative-Space „ELFI“ in Ingolstadt, wie Diewald erläuterte. Im ELFI würden Kulturschaffende ohne finanziellen Druck mit ganz viel Freiheit zusammenarbeiten. Der Ort schaffe Sichtbarkeit für weniger bekannte Künstler. ELFI soll auch für die Wirtschaft interessant werden, die Gesellschaft abbilden und mitnehmen.
Kunst als Selbstzweck oder Lebensunterhalt?
Eine angeregte Diskussion entbrannte zur Frage, ob Kunst zweckfrei sein müsse. Engert positioniert sich klar: „Die Künstler, die für den Selbstzweck Kunst betreiben, gibt es schon 50 Jahre nicht mehr.“ So sei die öffentliche Förderung von Kunst- und Kulturschaffenden damit begründet, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Kirschner forderte demgegenüber: „Ich muss Menschen erreichen und nicht verzwecken.“ Es sei eine Kunst, den Wandel nicht zu verzwecken, sondern Räume zu bieten, um miteinander in Kontakt und Austausch zu kommen. Ein Teilnehmer aus dem Publikum kommentierte: „Die digitale Welt erklärt Vorhandenes sehr mitnehmend, aber wir sind ja gerade in der Zukunftskrise.“ Es fehlten Zukunftsbilder. Künstliche Intelligenz könne keine Zukunft denken – nur Vergangenheit neu collagieren. Eine anderer Gast unterstrich „Kunst macht man weil man sie liebt. Wir können heute nicht vorhersagen, wie sie die Gesellschaft in der Zukunft verändert.“ „Einen Künstler kann man nicht dafür instrumentalisieren einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten“, ergänzte ein weiterer Teilnehmender der Diskussionsrunde. Diewald gab zu bedenken, dass heute die Wenigsten von ihrer Kunst leben können und die Relevanz von Kunst in den kommenden Jahren weiter absürzen werde, wenn KI sich noch stärker etabliere.
Hubert Klotzeck: „Kunst ist für jeden“
In der Abschlussrunde forderte Diewald, Kunst, Kultur und Wissenschaft sollten enger zusammenarbeiten. Engert stellt fest, „Es ist katastrophal, dass Bayern Kunst in den Schulen reduzieren will.“ Vor allem in Zeiten einer zunehmenden virtuellen Welt, „müssen wir neue Räume für Kunst und Kultur schaffen und erhalten“, resümierte Klotzeck. „Kunst ist für jeden. Museen und Vereine sind immer offener für Kooperationen“, ergänzte er weiter. Wir brauchen dringend Mut zum eigenen Ausdruck sowie der Auseinandersetzung mit Geschichte und Tradition, um im Vergangenen zu lernen, wovon wir heute profitieren können. Es gelte auch, Menschen zu ermächtigen, Künstler zu sein, fasste Kirschner zusammen. So wirkten auch nach der Diskussion die Schlagworte Austausch und Miteinander, Räume für Kreativität und Zusammenhalt in den Gesprächen nach.
Die Diskussionsrunde war Teil der Reihe wissen.schafft.wir. DIALOG, die das Projekt „Mensch in Bewegung“ organisiert. Informationen zu kommenden Veranstaltungen der Reihe finden Sie auf unserer Webseite unter „Termine“ sowie hier zusammengefasst.
Foto: Projekt „Mensch in Bewegung“