Expertinnen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft haben am 27. Februar an der KU Eichstätt-Ingolstadt über die Situation von Frauen in Ingolstadt und der Region in den Blick diskutiert. Petra Kleine, dritte Bürgermeisterin der Ingolstadt, Petra Haßler-Kufner, Fachliche Leitung Wirbelwind Ingolstadt e. V., Edith Laga, Zonta e. V. Ingolstadt, und Inga-Maria Schütte, Wissenschaftliche Referentin der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der KU sprachen darüber, wie es aktuell um Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung von Frauen steht.
„Feminismus heißt, alle Menschen haben die gleichen Rechte, freie Entscheidung. Das muss weltweit gelten“, betonte Inga-Maria Schütte zum Einstieg in die Diskussion. Edith Laga, die sich für Frauenförderung unter anderem bei Zonta in Ingolstadt engagiert, unterstrich, dass unsere Gesellschaft selbst nach vielen Jahrzehnten bislang keine wirkliche Gleichberechtigung und Parität von Männern und Frauen in der Politik, Arbeit oder, wenn es um körperliche Selbstbestimmung geht, erreicht habe. Deshalb sei ein Verein wie Zonta, der Frauen gezielt fördere, nach wie vor erforderlich. Das Thema körperliche Selbstbestimmung stieß in der Runde auf großen Widerhall.
Petra Haßler-Kufner: Betroffene steuern Beratungsstellen für sexuelle Gewalt zu selten an
Vor dem Hintergrund, dass Gewalt gegen Frauen laut WHO das größte Gesundheitsrisiko für Frauen darstellt, berichtete Petra Haßler-Kufner aus ihrem beruflichen Alltag. Sie machte deutlich, dass alle Menschen Opfer sexueller Gewalt werden könnten. Dennoch sei der größte Teil der im Erwachsenenalter Betroffenen immer noch Frauen. Bei über 90 Prozent dieser Frauen seien die Täter männlich, so Kufner. „Sexuelle Gewalt ist ein gesellschaftliches Thema“, betonte sie. Allein in 2023 habe man bei Wirbelwind in Ingolstadt in 285 Fällen beraten. Dennoch sei die Hemmschwelle hoch. Kufner erklärte: „Alle Betroffenen tragen Scham und Schuld in sich.“ In der Folge würden Beratungsstellen viel zu selten angesteuert. Weil Beratungsstellen für sexuelle Gewalt noch eine freiwillige Leistung der Kommunen sind, forderte Kufner wie bei Erziehungs- oder Schwangerenberatungen eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. „Es würde Deutschland nicht viel kosten“, ergänzte sie.
Petra Kleine: „Wenn es Sexismus nicht gäbe, bräuchte es keinen Feminismus“
Petra Kleine sieht im Sexismus die Ursache für Gewalt an Frauen. „Wenn es Sexismus nicht gäbe, bräuchte es keinen Feminismus“, sagte sie. Es sei skandalös, dass es allein in Ingolstadt über zehn Bordelle gebe. „Das gehört geächtet und abgeschafft“, betonte die Bürgermeistern.
Die Debatten rund um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung seien seit Jahrzehnten die gleichen, auch wenn heute teilweise neue Begriffe wie „Catcalling“ Einzug gehalten hätten. Schütte ergänzte, dass neben dem Sexismus insbesondere patriarchale Strukturen viele Menschen unterdrücken würden ‒ auch Männer, die nicht typisch männlich sind. Daher sollte es „unser Anliegen sein, eine gerechtere Gesellschaft zu gestalten“, so die Wissenschaftlerin. Petra Kleine führte fort: „In anderen Ländern ist sexuelle verbale Gewalt unter Strafe gestellt. Nicht aber in Deutschland.“ Wir müssten junge Mädchen und Jungs zur Zivilcourage ermutigen und Frauen müssten anfangen wütend zu sein, so die Bürgermeisterin.
Gleichstellung im Beruf: Diversität als Wohlstandfaktor
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt berichtete sie, dass der größte Teil der Teilzeitbeschäftigten Frauen seien und Führungspositionen meist in Vollzeit besetzt würden. Hier könnten Arbeitgeber ansetzen. Die Stadt Ingolstadt ermögliche seit einiger Zeit Führungspositionen in Teilzeit.
Auch Lohngerechtigkeit sprach die Bürgermeisterin an. Die Praxis zeige, dass es in Betrieben, in denen diese ernstgenommen werde, eine kleinere Gehaltslücke zwischen Männer und Frauen gebe. Ihrer Ansicht nach ist die Wirtschaft Treiber für Veränderungen in den Bereichen Diversität, Frauenunterstützung oder Vier-Tage-Woche und Diversität ein Wohlstandsfaktor. Letzteres müsse erkannt werden, ergänzte die Politikerin. Petra Haßler-Kufner betonte daraufhin: „Wir brauchen Maßnahmen wie die Frauenquote ‒ was gleichzeitig ein Zeichen einer Armutsgesellschaft ist, dass wir die Maßnahmen brauchen.“ Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kommentierte Edith Laga, dass Kinder für Frauen und Männer gleichermaßen ein Karrierehindernis sein können, wenn man sich Erziehungs-und Betreuungsaufgaben gleichberechtigt aufteile. Strukturen müssten geändert werden, damit Familie und Arbeit besser vereinbar sind.
Fazit: Feminismus adressiert Fragen einer sozial gerechten Gesellschaft
Die Ansatzpunkte um gezielt Verbesserungen anzustoßen sind nach Meinung der Runde vielfältig: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und jeder Einzelne ‒ ganz gleich welchen Geschlechts ‒ müssten aktiver werden. Mehr finanzielle Ressourcen für Bildung, Kinderbetreuung oder Prävention- bzw. Beratungsarbeit seien ebenso ein Hebel wie starke Netzwerke und die eigene Stimme gegen Ungerechtigkeit zu erheben. Schließlich waren sich Zuschauende und Diskussionsteilnehmerinnen einig: Feminismus adressiert im Grunde Fragen einer demokratischen und sozial gerechten Gesellschaft. Feminismus heute? Geht uns alle an.
Titelfoto: Projekt „Mensch in Bewegung“/KU